
Bremen, 2022

Das UNBEACHTETE suche ich hauptsächlich auf der Straße – wo ich auf Zufälligkeiten, Unscheinbares, Ausschnitte, Kompositionen, Verletzungen, Rückstände, Flüchtiges, Verwischtes, Kleines oder Großes, Lichtspiele etc. achte. Ich entdecke Bilder.
Mein künstlerische Intention ist es, – z.B. durch die Konzentration auf einen Ausschnitt – das Motiv für den Betrachter zu VERRÄTSELN. So bekommen die Motive auf meinen Fotos eine neue, eigene Wahrnehmung, Aussage und Ästhetik. Das Ursprüngliche tritt zurück, ist häufig gar nicht mehr zu identifizieren.Die Zufälligkeit des Aufnahmemomentes wird übersehen. Die Bilder wirken wie bewusst konzipierte und gewollt erschaffene, in sich schlüssige Darstellungen und Inszenierungen. Mit dieser Wirkung verwischen sich die Grenzen zur Malerei und Grafik und schaffen eine eigene fotografische Bildersprache, die die Wirklichkeit häufig wie eine abstrakte Verfremdung erscheinen läßt. Meine BetrachterInnen sollen das Bild nicht wieder enträtseln – angeregt werden sollen Fantasie, Interpretation und Neugierde.
Für mich ist ein BILD gelungen, welches die Fantasie erkennt und dessen Zufälligkeit erstaunt.
Bearbeitet werden die Bilder mit dem RAW-Konverter unter weitestgehendem Verzicht von Photoshop. Der Umfang der Bearbeitung orientiert sich an den Möglichkeiten analoger Dunkelkammerarbeit und Retusche – ohne gestalterisch-schöpferische Eingriffe, die die Darstellung, den Aufbau und die Farbe der ursprünglichen Fotografie grundlegend verändert oder neu entstehen läßt. Die Bilder zeigen das, was ich entdeckt und gesehen habe. Es sind FOTOGRAFIEN.
Den Dingen auf den Grund gehen, verstehen – Angst und Neugierde: Die Arbeit auf der Amsterdamer Drogenszene war Herausforderung und Motivation. Wie leben und überleben Menschen mit einem abhängigen Kosum von verbotenen Drogen – und als Deutsche zugleich mit der Illegalität in einer fremden Stadt? Zum Beispiel, indem sie die feinen Muster der Rückseiten von Spielkarten sorgfältig ausschneiden und die kleinen Vierecke als LSD an unerfahrene Touristen verkaufen.
In einem Neubaugebiet, irgendwo an einer willkürlichen Haltestelle, wo sich im Schatten unfertiger Hochhäuser, die wie Skeletten in den Himmel ragen, ein paar alte Holzhütten behaupten, überraschte mich dieser innige Moment. Vater und Tochter im Spiel versunken – einen lebenden Käfer als Puppenersatz. Dessen Fluchtdrang wird durch ein Band an seinem Beinen gebremst. Ein zärtlicher Augenblick und eine gelassene Reaktion gegenüber dem Fremden, der seine Kamera hochhält.
Eins meiner Lieblingsfotos: Die Schwärze der Nacht, in deren Dunkelkeit der Mann sich vortraut. Das Schwarz der Aufnahme, die seine Anonymität respektiert und auch die Geschichte nur schemenhaft erzählt. Das Gesicht, das sich andeutet. Der gesenkte Blick. Die gekreuzten Krücken. Und das Muster der Mütze, man könnte meinen, es sei Teil der Straßenplasterung und er wäre gleichsam mit einem Fahrstuhl auf die Bühne der Oberwelt gebracht worden. Und alles wird überstrahlt von der Dose mit Schlitz….
Irgendwann und immer mehr habe ich auf mein Teleobjektiv verzichtet, die Menschen angesprochen und aus naher Distanz fotografiert. Vielleicht nicht die reine Lehre der Straßenfotografie – sicher aber interessante, spontane Begegnungen. Heute frage ich gerne:Darf ich ein heimliches foto von Ihnen machen?
Bremen, 2020
Aus „fotografischen Beifang“ noch zu analogen Zeiten wurde eine „fotografische Leidenschaft“. Gerade auch, weil es bei dieser Arbeit auf der Straße nicht nur der schnelle Auslöser-Klick ist, sondern häufig eine Begegnung stattfindet, ein Gespräch, ein Austausch. Was liegt da näher, als die MusikerInnen zu bitten, ihre Performens mitschneiden zu dürfen. Fotoapparat und Aufnahmegerät zusammen zu bedienen, dazu braucht man aber zwei rechte Hände …
Hier die erste Probeaufnahme aus dem Hauptbahnhof 1994 in Hannover. Nur versehen mit einem Aufnahmegerät – ohne Kamera.
Bremen, 2019