HERR SCHMIDT
25.01.2019 Bremen: Gestern habe ich eine Wohnung dem Vermieter übergeben, in der bis vor kurzem ein alter Mann zusammen mit 40 Zierbarschen gelebt hat. Gelebt, verbracht, geschlafen auf seinem durchgesessenen Wohnzimmersofa – in dementer Paranoia vor einem nächtlichen Schattenmann. Nun, heute, leere Räume. Dinge aus 70 Jahre-Leben, die die Wohnung ums Wohnzimmer herum zunehmend verstopft hatten, sind aus dem Haus herausgetragen und zur Deponie gebracht worden. Mit ihnen auch die Erinnerungen, die diese Dinge beseelten. Die Wohnung besenrein geleert – wie entehrt. Aber zum Glück wird er auch die Erinnerung vergessen.
Für einen Moment ein lost-place in der Vorstadt.
Der alte Mann lebt nun vis-a-vis an einen anderen Ort, den er ohne seine früheren Sinne nicht begreifen kann. Schon am ersten Tag ist er über die Gartenmauer ausgebüxt – fand auch den Weg zu seiner, jetzt aber für ihn schon verschlossene Wohnung; aber nicht mehr den Rückweg. In der Gegend einer Ausfallstraße fiel er einer Polizeistreife auf.
Danach, in dem fremden, aufgeräumten, lichthellen Heim, unter Seinesgleichen, schien er nichts mehr zu haben, womit er sich dem gänzlichen Vergessen hätte entgegenstemmen könnte. Er freut sich empfänglich über jeden Besuch, um lachend-genant einzuräumen, dass er überhaupt nicht wüsste, wer vor ihm stünde. “Ich heiße wie Sie“, sage ich dann immer – laut. Dann lacht Herr Schmidt noch mehr – ich habe ihn nie raten lassen, wie ich heiße.